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pdf Beziehungsarbeit wirkt immer – jahrelang Neu

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Mehr als Unterricht

Ein Beitrag von Matthias Zeitler
Lehrer an einer Werkrealschule

*Pling* Der Schulmessenger meldete sich. Ich ignorierte ihn. Mit dem Rotstift in der Hand saß ich an Korrekturen und vertiefte mich in dem mehr oder weniger sinnvollen Gedankengut meiner Schülerinnen und Schüler … es war … richtig: Samstag!
*Pling* Wieder der Messenger. Es ist Wochenende, wer konnte denn jetzt etwas wollen. *Pling* Nun war ich neugierig und sah mir die Nachricht an.

Eine Schülerin entschuldigte sich erst für die Störung am Wochenende und fragte mich dann, ob sie mit mir telefonieren könnte. Normalerweise hat meine Klasse sowieso meine Handynummer und kann mich immer erreichen. Klar konnten wir telefonieren. Mir war aber sofort klar: Wenn eine Schülerin sich traut am Wochenende vorsichtig nachzufragen, ob man telefonieren kann, dann kostet das erstens viel Überwindung und Mut und zweitens brennt es da irgendwo gewaltig. Ich suchte ihre Nummer raus, rief sie an und fragte, wie ich helfen könne und ob ihr etwas passiert sei.

Wenn Zuhören mehr hilft als jeder Ratschlag

Auf den konkreten Inhalt möchte ich aus Gründen der Privatsphäre nicht eingehen. Tatsächlich war aber etwas vorgefallen, was ich länger im Gefühl hatte. Schließlich war es nicht das erste Gespräch. Die Schülerin öffnete sich mir und ich hörte ganz lange einfach nur zu. Mir war klar, dass ich ihr in meiner Rolle als Lehrkraft nicht helfen konnte. Alle Tipps, die ich hätte geben können, wären laienhaft und damit in meiner Rolle unprofessionell gewesen. Ich konnte ihr aber allein mit meinem Gehör und ein paar Kontakten weiterhelfen. Dementsprechend emotional war für uns beide die Verabschiedung bei der Abschlussfeier.

Eine Sprachnachricht mitten ins Herz

Zwei Jahre später schreibe ich diese Zeilen. Es ist ein Dienstagabend an dem mich eine Sprachnachricht erreicht. Die Schülerin hat nochmal eine Nachfrage zu einer Empfehlung, die ich ihr damals gegeben hatte. Zwischenzeitlich waren wir unregelmäßig in Kontakt. Das ist keine Seltenheit, denn immer wieder besuchen mich ehemalige Schülerinnen und Schüler in der Schule, in meinem Garten oder schreiben mir. Die Inhalte der Gespräche sind immer ähnlich: Die damalige Zeit in der Schule, die jetzige Ausbildung und Herausforderungen, die wir gemeinsam bewältigt haben. Es geht nie, niemals um den Unterrichtsstoff. Es geht immer um die Beziehungsebene.

Aber mit ihrer letzten Sprachnachricht hat die Schülerein vor Rührung Freudentränen in meine Augen getrieben. Neben ihrer eigentlichen Frage bedankt ssie sich bei mir für das, was ich für sie getan habe. In ihrer Begründung, warum ich der beste Mensch gewesen sei, dem sie begegnet ist, steckt alles drin was Lernen möglich macht und Beziehungsarbeit als Lehrkraft ausmacht

Beziehungsarbeit ist keine Methode. Sie ist eine Haltung.

Ich gebe Fortbildungen für Lehrkräfte, in denen es mehr oder weniger unterschwellig immer um Beziehungsarbeit geht. Es ist eigentlich kein Werkzeug der Pädagogik. Es ist eine Haltung und die Basis, ohne die echte pädagogische Arbeit und echtes Lernen gar nicht funktionieren können. Diese Schülerin bringt es aber auf den Punkt, was Beziehungsarbeit ausmacht.

Es geht nie um den Stoff – sondern immer um das Menschsein

Jugendliche wollen sich in der Schule wohl fühlen und ernstgenommen werden. Das schaffen wir am leichtesten damit, dass wir Erwachsenen einfach mal nur zuhören, ohne zu kommentieren. Wir sollten neutral bleiben und nicht ständig bewerten. Gleichzeitig haben wir aber die Aufgabe zu helfen. Allerdings nie ohne Absprache und von oben herab. Oft genügt schon die Frage: „Was brauchst du von mir? Soll und darf ich dir helfen?“ Allerdings sollten wir dabei immer in unserer Rolle als Lehrkraft oder Eltern bleiben. Manche Dinge können wir nicht lösen, dafür braucht es Experten. Hier ist also die Hilfe, Kontakte herzustellen.

Ein entscheidender Faktor, den die Schülerin erwähnt hat, ist aber, auch etwas Persönliches von sich zu erzählen – auch hier nur in geeigneten und authentischen Momenten. Jugendlichen hilft es ungemein zu sehen, dass wir Erwachsenen es eventuell mit ähnlichen Problemen zu tun haben oder hatten. Es hilft ihnen, uns als Mensch einsortieren zu können und gibt ihnen so Sicherheit und Vertrauen.

Wir säen Vertrauen – und manchmal sehen wir die Ernte

Es ist eine von vielen ähnlichen Anekdoten, wenn auch für mich die berührendste. Denn sie zeigt: Beziehungsarbeit lohnt sich immer und kostet keine bis wenig Zeit. Sie ist immer möglich und existent. Denn man kann nicht nicht in Beziehung gehen. Sie zahlt sich aus, im besten Fall noch jahrelang. Und manchmal säen wir ganz viel und bekommen die Ernte nicht mehr mit. Aber eines ist sicher: Sie kommt!

Zum Autor
Moderator, Fortbildner und Lehrer: Matthias Zeitler ist alles drei und eigentlich liegen die Professionen ja sehr nah beieinander. Auf Instagram ist Bildungs-Influencer, einen Podcast hat er auch und das erste Buch ist geschrieben. Mit seiner Schwäche für Hüte und Kappen ist er immer leicht zu erkennen und von sich selbst sagt er: „Ich liebe Musik und Livekonzerte. Daher fühle ich mich im Schulsystem und auf der Bühne auch manchmal wie ein Punkrocker.“