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Kinder und Jugendliche fit machen für die digitale Welt

Ein Beitrag von Anika Osthoff
Gymnasiallehrerin und Autorin

Werfen wir einen Blick auf die aktuelle Diskussion rund um Smartphones und Social Media gewinnen wir den Eindruck, dass die digitale Welt voller Gefahren für Kinder und Jugendliche ist und wir ihnen den Umgang damit am besten komplett verbieten sollten. Ganz von der Hand zu weisen ist dies sicherlich nicht. Die Gefahren für Kinder und Jugendliche in der digitalen Welt sind real. Aber wie begegnen wir diesen Gefahren? Sind Social Media Verbote wie in Australien und smartphonfreie Schulen die Lösung? Und vor allen Dingen: Stellen solche Verbote einen ausreichenden Schutz dar? 

Die Antworten auf diese Fragen sind alles andere als eindeutig. Aber eine Sache ist unmissverständlich klar: Es ist unsere Aufgabe als Erwachsene, Kinder und Jugendliche hier zu schützen und ihnen gleichzeitig die Kompetenzen zu vermitteln, die sie brauchen, um in einer digitalen Welt zurecht zu kommen, sicher zu sein und diese auch zu ihrem Vorteil nutzbar machen zu können. 

Hier sind Eltern gefragt, aber auch und vor allem die Schule und Lehrkräfte.

Digitale Begleitung im Elternhaus

„Solche Probleme hatten wir früher nicht“ – sagt meine Mutter immer, wenn es um digitale Endgeräte geht und sie sieht, wie wir als Eltern versuchen, einen guten Umgang damit zu finden. Und Recht hat sie. Diese Erziehungsaufgabe hatten unsere Eltern früher nicht und Recht hat sie auch, wenn sie sagt, dass das für viele Eltern heute ein echtes Problem darstellt. Denn hier prallen Wünsche und Bedürfnisse von Eltern und Kindern oft auf- und gegeneinander. Das Konfliktpotenzial ist hoch.

Als Eltern wünschen wir uns, dass unsere Kinder gut, gesund, sicher und glücklich aufwachsen und bei der Nutzung von Bildschirmen stellt sich für uns oft ein „Störgefühl“ ein. Diesem Störgefühl versuchen wir häufig mit eingestellten oder vereinbarten Bildschirmzeiten entgegenzuwirken, indem wir Medienzeiten regeln. Auf der anderen Seite wachsen unsere Kinder in einer digitalen Welt auf. Eine medienfreie Kindheit gibt es nicht. Wir müssten unsere Kinder schon sehr stark abschotten, um das zu realisieren. In den meisten Familien gehört Digitalität jedoch zum Alltag, alleine schon deshalb, weil viele alltägliche Prozesse mittlerweile digitalisiert sind. Wir Eltern buchen über unsere Smartphones Tickets, checken Vertretungspläne, schreiben Einkaufslisten, lesen die Nachrichten und so vieles mehr. Unsere Kinder erleben eine Welt, in der Digitalität Teil des Alltags ist.

Nutzung kein Garant für Kompetenz

Es ist daher erstmal alles andere als verwunderlich, dass Kinder häufig digitale Teilhabe einfordern und auch ein Smartphone haben möchten oder digitale Spiele spielen wollen, die ihre Freunde in ihrer Freizeit spielen. Dabei sind Kinder und Jugendliche, die heute aufwachsen, aber alles andere als „digital natives“. Das Aufwachsen mit digitalen Medien bedeutet nicht gleichzeitig das Heranwachsen digitaler Kompetenzen. Als Eltern müssen wir hier einen Spagat leisten, der nicht ganz einfach ist. Wir müssen unseren Kindern beibringen, in dieser digitalen Welt gesund und gut aufzuwachsen und sie gleichzeitig vor nicht altersgerechten Einflüssen und ganz realen Gefahren schützen. 

Big Brother is watching you?
Ja, unbedingt!

Digitale Bildschirmzeiten sind hier nur ein Aspekt, den wir dabei im Blick behalten müssen. Dazu gibt es zahlreiche Empfehlungen, die allerdings wenig eindeutig sind und maximal eine Orientierung darstellen können. Denn die Zeit, die unsere Kinder vor Bildschirmen verbringen, greift als alleiniges Kriterium für ein gutes Aufwachsen mit Medien zu kurz. Was Kinder und Jugendliche brauchen, sind Erwachsene, die sich für ihre Welt interessieren. Erwachsene, die aufpassen, dass die Inhalte zum Alter der Kinder passen, die mit ihnen über mögliche Gefahren sprechen und für sie da sind, wenn auch mal etwas schief gegangen ist. Da Kinder unterschiedliche Affinitäten zur digitalen Welt zeigen und sehr unterschiedlich auf digitale Angebote reagieren, gibt es hier kein Patentrezept, was Eltern tun müssen, um ihr Kind gut zu begleiten. 

Ein paar „Eckpunkte“ zur Orientierug

Digitalität darf Raum, aber nicht zu viel Raum einnehmen. Kinder sollten immer genug Ausgleich im echten, analogen Leben haben. Hobbys, Freunde, Dinge „in echt“ erleben – all das darf nicht – oder zumindest nicht zu häufig – durch digitale Aktivitäten blockiert werden. Achten Sie auf eine gute Balance und bedenken Sie, dass auch digitale Aktivitäten sozial und verbindend sein können. Digitale Freizeitgestaltung ist nicht per se schlechter als analoge. Um es mit Nora Imlaus Worten zu sagen: Sie ist „moralisch neutral“. Wie diese Balance für jede Familie aussieht, so dass jeder sich wohlfühlt, ist individuell und kann nicht in pauschalen Medienzeiten festgelegt werden. 

Nehmen Sie digitale Bedürfnisse Ihres Kindes ernst und sprechen Sie auf Augenhöhe miteinander. Der beste Schutz für Kinder und Jugendliche ist es, wenn sie Ansprechpersonen haben, die nicht herablassend reagieren, mit Strafen drohen und ihnen helfen, Inhalte einzuordnen. Strecken Sie Ihrem Kind die Hand aus und interessieren Sie sich für das, was in den Chats, Feeds und Spielen Ihrer Kinder passiert. 

Wann der richtige Zeitpunkt für die Anschaffung eines Smartphones ist, lässt sich daher auch nicht genau festlegen. Viel wichtiger ist das Interesse und der Wille zur Begleitung. Ein gut begleitetes Kind kann auch mit 10 schon mit einem gut eingestellten Smartphone erste Schritte machen. Ohne Begleitung kann es auch mit 14 noch zu früh für eine Anschaffung sein. 

Erste Geräte sollten immer von den Eltern voreingestellt werden. Altersgerechte Apps sollten ausgewählt, der Browser gefiltert und auch Spiele limitiert und ausgewählt sein. Hierzu gibt es diverse Anbieter, wie Family Link (Android) oder die Apple Familienfreigabe. Anleitungsvideos zum kindersicheren Einstellen sämtlicher Endgeräte finden sich bei „Medien Kindersicher“. Und ja: Das ist Arbeit und manchmal lästig. Das war Windeln wechseln und nachts aufstehen aber auch, oder? Digitale Begleitung gehört zum Elterndasein aber genauso dazu. 

Digitale Begleitung in der Schule

Auch wenn es sich bei den Endgeräten, mit denen Kinder und Jugendliche die meiste Zeit verbringen, um privat angeschaffte Geräte handelt, ist es heutzutage dennoch zusätzlich Aufgabe der Schule, Kinder und Jugendliche auch bei ihrer privaten Handynutzung zu begleiten. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Viel zu viele Kinder sind unbegleitet in der digitalen Welt unterwegs und werden so massiv gefährdet. Daraus ergibt sich eine pädagogische Verantwortung, Kinder und Jugendliche hier zu unterstützen, Ansprechperson zu sein und Medienkompetenz zu vermitteln. Denn in der Schule erreichen wir alle Kinder – auch die, die zu Hause nicht oder zu wenig begleitet werden. An meiner Schule haben wir zum Beispiel sehr gute Erfahrungen mit dem Konzept der „Medienscouts“ gemacht. Medienscouts sind Schüler der höheren Klassen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, jüngere bei ihren Erfahrungen in der digitalen Welt zu unterstützen und zu begleiten. Der große Vorteil an dieser Arbeit ist es – das zeigt sich in der Praxis immer wieder –, dass jüngere Schüler viel eher auf Erläuterungen und Hinweise von „den Großen“ reagieren, als wenn diese Hinweise von uns Lehrkräften kommen. Die Erfahrungen der jungen Menschen, die an diesen Themen „viel näher dran“ sind, aber gleichzeitig den Umgang damit kritisch reflektieren, ist unschätzbar wertvoll. 

Kompetente Ansprechpartner

Die Arbeitsfelder von Medienscouts können vielfältig sein und gemeinsam – je nach Interessen und Stärken – erarbeitet werden. So gehen die Medienscouts an unserer Schule direkt zu Beginn in die fünften Klassen und besprechen wichtige Regeln für einen Klassenchat und wichtige Einstellungen bei Messengern. So weiß direkt zu Beginn jeder über das Recht am eigenen Bild Bescheid – das ist ein erster wichtiger Baustein im Rahmen der (Cyber) Mobbing Prävention. Diese Präventionsarbeit wird an unserer Schule durch die herausragend gute Arbeit von „Law4School“ ergänzt. In diesen Online-Webinaren lernen Schüler aller Klassen sehr eindrücklich aus Sicht der Anwältin Gesa von Schwerin, welche Konsequenzen Cybermobbing für alle Beteiligten haben kann. 

Medienscouts können außerdem Workshops zu Themen wie „Fake News“, „Filter und Körperbilder“, „Gaming und Sucht“ etc. gestalten und sind hier zudem wichtige Ansprechpersonen, wenn es Fragen und Probleme gibt. Häufig bieten sie  Sprechstunden an oder sind auch über den Schulchat ansprechbar. Wichtig ist, wie bereits bei der Elternarbeit erwähnt, dass Kinder und Jugendliche Hilfe finden, wenn sie sie brauchen. Für die Kinder, die sich nicht trauen zu ihren Eltern zu gehen, können Medienscouts eine wichtige Funktion erfüllen. 

Wichtige Ergänzung zur Elternarbeit

Medienscout-Arbeit kann aber auch die Elternarbeit um einen wertvollen Baustein ergänzen. So gestalten „unsere“ Medienscouts, gemeinsam mit Lehrkräften, digitale Elternabende, in denen sie darüber berichten, was aus ihrer Sicht wichtig ist im Umgang mit Messengern, Streamingdiensten, Social Media und Computerspielen. Nach einer zentralen Einführung durch eine Lehrkraft können die Eltern – wie bei einem Bar Camp – Break-Out-Räume zu diesen digitalen Themen besuchen und sich bei den Medienscouts informieren. Diese Elternabende sind deutlich besser besucht als der klassische Präsenz-Elternabend. Kinder und Jugendliche brauchen Erwachsene, die sich kümmern und sich interessieren. Zu Hause und in der Schule. Handyzeiten und -regelungen sind Teil dieser Begleitung. Ein reines Smartphone- oder Social-Media-Verbot reicht jedoch nicht.  

Zur Autorin
Franziska Görner schrieb schon für die Schülerzeitung, finanzierte sich ihr Studium der Kulturwissenschaften und Erwachsenenpädagogik als freie Journalistin, arbeitete bei der Jugendpresse Deutschland und Reporter ohne Grenzen. Ihr Herz pocht für die junge Generation und für Medien, so kam es zu „Journalismus macht Schule“. Als Projektleitung des 2022 gegründeten Vereins möchte sie erreichen, dass Nachrichten- und Informationskompetenz sich in jedem Klassenzimmer verstetigt und dort verweilt.