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Der Ruf nach Handy-Verbot an Schulen geistert durch die Lande – die Gesetzes- und Interessenlage ist vielschichtig

Ein Beitrag von Sebastian Kölsch

Audio-Mitschnitte im Unterricht. Unerlaubtes Fotografieren oder Filmen. TikTok unter dem Tisch. Klingelnde Handys im Klassenzimmer. Klingt nicht gut? Ist es auch nicht. Weshalb nahezu 100% der weiterführenden Schulen bereits individuelle Regelungen erlassen haben. Trotzdem preschte Kultusministerin Theresa Schopper am 19. März laut dpa vor und kündigte eine zentrale Regelung an. Auch beim Treffen der Bildungsministerinnen und -minister am 20. März stand das Thema an; eine bundesweit einheitliche Regelung steht im Raum. Nur wie? Und was sagen die Betroffenen?

Die Schülerinnen und Schüler

„Unüberlegte Einschränkungen der Handynutzung können eine Gefahr für Schülerinnen und Schüler darstellen“, schreibt der Landesschülerbeirat (LSBR) in seiner Pressemitteilung zum Thema. Sturzerkennungsfunktion oder Diabetiker-Apps benennt das Gremium als Beispiel sicherheitsrelevanter Funktionen für Kinder und Jugendliche mit Einschränkungen. Auch im ländlichen Raum bei auf den Bus angewiesenen Schülerinnen und Schülern sei das Handy ein Sicherheitsaspekt, so LSBR-Vorsitzender Joshua Meisel: „Für viele Schüler biete ein Smartphone ein gewisses Sicherheitselement: „Was passiert, wenn etwa der Bus ausfällt?“ gab er gegenüber der dpa zu bedenken. Schon aus diesem Grund müsste das Smartphone mit zur Schule gebracht werden dürfen.

Die rechtliche Situation

Ein Totalverbot war aber gar nicht, was Baden-Württembergs Kultusministerin im Sinn hatte, als sie eine zentrale Regelung ins Gespräch brachte. „Es geht mir um den Schutz unserer Kinder und Jugendlichen“, sagte Theresa Schopper laut Medienberichten. Sie sprach von Leitplanken, die gesetzt werden sollten und einer Verpflichtung der Schulen, Regelungen zu erlassen. „Alltagsangemessenheit“ solle Richtschnur bei den Regelungen sein.

Diese ist auch schon von Rechts wegen notwendig. Denn ein Verbot, das Handy bei sich zu führen, also in die Schule mitzubringen, stellt einen unrechtmäßigen Eingriff in die persönliche Freiheit dar. Was allerdings geregelt werden kann – und was wahrscheinlich auch in allen mindestens weiterführenden Schulen bereits geregelt ist, ist die Nutzung der Geräte während der Schulzeit auf dem Schulgelände.

Das Start-up

Offenbar möglich ist auch ein Verwahren der mitgebrachten Geräte. Das Unternehmen „Lock & Learn“, gegründet von zwei Hamburger Lehrkräften, hat sogenannte Smartphonegaragen entwickelt, in denen die Endgeräte der Kinder und Jugendlichen während der Unterrichtszeit sicher aufbewahrt werden können. Eine rechtssicher ausformulierte Ergänzung der Schulordnung gibt‘s als Service obendrein.

Auf dem Schulweg steht das Telefon oder die Smartwatch zur Verfügung, während der Schulzeit werden deren Besitzer aber nicht abgelenkt – und Diebstahl wird durch das Verschließen ebenfalls vorgebeugt. Die Vorteile einer solchen smartphonefreien Schule sind laut der beiden Lehrer-Unternehmer zahllos und reichen unter anderem von weniger notwendiger Intervention der Schulsozialarbeit über sozialere und lebendigere Mittagspausen bis hin zu weniger Toilettengängen, weil diese ohne Smartphone offenbar unattraktiver werden.

Die Lehrkräfte

Kontrovers äußerten sich die großen Lehrkraft-Verbände zu Schoppers Idee. Der „Verband Bildung und Erziehung“ (VBE) begrüßte den Vorstoß grundsätzlich: „Bisher müssen die Schulen dies individuell regeln, was regelmäßig zu größeren Diskussionen mit der Schüler- und Elternschaft führt“, sagte VBE-Vorsitzender Gerhard Brand. Klare und einheitliche Regelungen seitens der Kultusverwaltung seien daher sehr zu begrüßen, aber auch die Eltern seien in die Pflicht zu nehmen. Die „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft“ (GEW) stellte dahingegen den Aspekt der Medienbildung ins Zentrum ihrer Reaktion. Eine Tabuisierung von Smartphones in der Schule würde Kinder und Jugendliche mit sensiblen Inhalten im Zweifel allein lassen. „Wir müssen Schülerinnen und Schüler fit machen, die Zukunft gut zu meistern“, sagte GEW-Vorsitzende Monika Stein.

Die Eltern

Der Landeselternbeirat (LEB) hatte zur Zeit, als die dpa-Meldung vom Ministerinnen-Vorstoß die Runde machte, Sitzungstag mit dem Schwerpunkt „psychische Gesundheit“. Die Keynote hielt dabei Professor Joachim Bauer, der dabei insbesondere auf den Medienkonsum als Ursache und Folge psychischer Belastungen bei Jugendlichen abhob. In seiner Reaktion auf Schoppers Vorstoß kritisierte der LEB die Einbeziehung privater Endgeräte ins Unterrichtsgeschehen. Fehlende technische Ausstattung der Schulen führe häufig zu Sätzen wie „Nutzt schnell euer Smartphone zur Recherche“, was dann selten bei der Recherche bleibe, sondern eine private Nutzung des Smartphones mit Lehrkraft-Erlaubnis während des Unterrichts darstelle. Auch Hausaufgaben mit digitaler Komponente ohne das Stellen schulischer Endgeräte sah der LEB kritisch. Die Bemühungen der Eltern, Hausaufgabenzeit zur handyfreien Zeit zu erklären, würden dadurch ad absurdum geführt.

Die Wissenschaft

Relativ einhellig ist die Meinung verschiedener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Sie verteufeln zwar nicht grundsätzlich das Smartphone und berücksichtigen durchaus, dass 2025 eben nicht mehr 1990 ist. Aber die Auswirkungen nicht nur des übermäßigen, sondern auch des ständigen Konsums sind aus wissenschaftlicher Perspektive klar dokumentiert:

Bereits 2017 kam eine Untersuchung in den USA zu verblüffenden Erkenntnissen hinsichtlich der Beeinflussung der kognitiven Fähigkeiten durch die bloße Gegenwart eines Smartphones (Ward AF et al, „Brain Drain: The mere presence of one‘s own smartphone reduces available cognitive capacity“, Journal of the Association for Consumer Research, April 2017). Nicht die Nutzung war hier Untersuchungsgegenstand, sondern ob das stummgeschaltete Smartphone in der Nähe war, während die Probanden Aufgaben zu lösen hatten. Lag das Smartphone auf dem Tisch, waren die Leistungen signifkant geringer als wenn das Smartphone sich in einem anderen Raum befand. Ein deutliches Plädoyer für das Einsammeln der Geräte in den Schulen.

Die ständige Verfügbarkeit der Geräte befördert zudem die Entwicklung problematischer Über-Nutzungen. Deren Zunahme zeigt die DAK-Studie „Problematische Mediennutzung bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ seit Jahren. Ohne Smartphone-Freiräume dürften diese Zahlen noch steigen, auch wenn sie bereits auf erschreckend hohem Niveau sind: Über ein Drittel der Kinder und Jugendlichen fühlen sich durch wegen der Smartphone-Nutzung ihres Gegenübers ignoriert; ein Fünftel der 10- bis 17-Jährigen zeigte eine „riskante Nutzung“ sozialer Medien.
Auch die JIM-Studie der Medienanstalt für Baden-Württemberg zeigt in der letzten Erhebung 2024 deutliche Alarmzeichen. 66 % der Befragten gab an, dass sie „sich vergessen und viel mehr Zeit am Handy verbringen“ als geplant. In der Folge sagten 59 %: „Ich genieße es, wenn ich Zeit ohne Handy und Internet verbringen kann“.
Geradezu ein Hilferuf nach Regulierung?

Und jetzt ...?

Das Kultusministerium hat im Nachgang der Medienberichterstattung präzisiert, was genau es machen möchte: „Geplant ist eine schulgesetzliche Regelung, die die Schulen verpflichtet, sich altersangemessene, restriktive Regeln der Handynutzung zu geben, auch um den unterschiedlichen Situationen vor Ort Rechnung zu tragen.“ Die Schulen würden dabei vom Kultusministerium breit unterstützt – von Musterschulverordnungen bis hin zu Best-practice-Beispielen, wie man Schülerinnen und Schüler sowie Eltern einbezieht, sodass diese Verpflichtung gleich noch zu einer großen Medienbildungseinheit für Schüler und Eltern werden könne.

Spannend wird sein, ob und in welcher Form bereits bei dieser Leitplanken-Erarbeitung verschiedene Akteure mit eingebunden werden. LEB und LSBR haben bereits ihre Bereitschaft zur Mitarbeit signalisiert. Dadurch würden die Beratungsgremien ihrer Aufgabe gerecht, die manchmal zu einer reinen „Abnick-Funktion“ zu degenerieren scheint. Wichtig wird sein, im Fokus zu behalten, für wen diese Regelung mit allen Schutz- und Nutzaspekten wichtig ist:
Für unsere Kinder.