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Werkrealschulen kämpfen um ihr Überleben und um ihr Image. Warum eigentlich, wo sie doch zaubern können?

Ein Beitrag von Matthias Zeitler, Lehrer an einer Werkrealschule

Zwischen Erwartungen und Realität

In manchen Werkrealschulen ist es eine Herausforderung, genügend Schüler zu gewinnen. Einige Standorte sind bereits froh, wenn sie im ersten Jahrgang der Sekundarstufe 16 Kinder erreichen können. Andere hingegen haben dieses Problem nicht. Es gibt auch Schulen, die in einem Jahr bangen, doch im nächsten Jahr ist die Klasse plötzlich voll. Für die Schulleitungen dieser Werkrealschulen ist dies ein heikles Thema – eine Art „Statistik-Krimi“. Denn wenn die benötigte Schülerzahl zwei Jahre in Folge nicht erreicht wird, droht die Schließung des Standorts.

Ein Zaubertrick mit einer wichtigen Zutat: Zeit

Das, was viele als „Zauberkunststück“ der Werkrealschule bezeichnen, ist oft einfacher als es scheint: Es braucht einfach Zeit. Denn in der siebten, spätestens aber in der achten Klasse, kommen neue Jugendliche an die Schule. Sie füllen die Klasse so weit, dass sie schließlich geteilt wird – vorausgesetzt, das Schulamt stellt genügend Lehrkräfte zur Verfügung. Die Werkrealschule kann sich durch den Zuwachs von Schülern stabilisieren, was zu einer neuen Dynamik führt.

Mehr Schüler in der Werkrealschule

Aber wie kommt es, dass die Schülerzahlen in einer Schulart, die oft als „Restschule“ bezeichnet wird und nicht unbedingt die erste Wahl der Eltern ist, im Laufe der Jahre steigen? Der Zaubertrick liegt in der falschen Wahl der Schulart nach der Grundschule. Doch warum entscheiden sich Eltern oftmals für die Realschule oder das Gymnasium, auch wenn dies nicht immer die beste Wahl für ihr Kind ist?
Eltern wollen stets das Beste für ihr Kind – und was auch immer das bedeutet. Der Wunsch, den „höchsten“ Abschluss zu erreichen, ist dabei oft ein starkes Motiv. Das Abitur genießt in vielen Fällen das höchste gesellschaftliche Ansehen, egal, ob es tatsächlich im späteren Berufsleben von Vorteil ist oder nicht.

Soziale Erwartung & Druck der Wahl

Oftmals hört man bei Elternabenden Sätze wie: „Warum geht denn dein Kind nur auf die Werkrealschule?“ Eltern müssen sich verteidigen und erklären, warum ihr Kind eine Schulart besucht, die früher weit verbreitet war. An diesem Punkt stelle ich provokant die Frage: „Warum geht denn dein Kind nicht auf die Hauptschule? Ist es wirklich schneller im Lernen oder geht es dir nur um den vermeintlich besseren Abschluss?“ Diese Frage führt oft zu einem tieferen Nachdenken.

Fehlentscheidung der Schulwahl

Nehmen wir an, ein Kind tut sich in der Grundschule schwer und kann mit dem Leistungsdruck nicht zurechtkommen. Es sieht, wie andere Kinder viel besser abschneiden, was das Selbstbewusstsein sinken lässt. Die Motivation nimmt ab und das Kind wird schulmüde. Auf Empfehlung wird es dann möglicherweise auf die Realschule geschickt, obwohl es eine bessere Alternative – die Werkrealschule – gegeben hätte. Doch manchmal stellt sich heraus, dass das Kind auf der Realschule überfordert ist. Die Noten fallen, das Selbstbewusstsein sinkt und die Enttäuschung wächst. Der junge Schüler und seine Familie erkennen schließlich, dass die Werkrealschule der bessere Weg gewesen wäre.

Der doppelte Zauber

Für Lehrkräfte ist es besonders herausfordernd, einem solchen Jugendlichen wieder zu neuem Selbstvertrauen zu verhelfen und erste Erfolgserlebnisse zu schaffen. Doch dieser „Zaubertrick“ hat auch seine Schattenseiten – er ist für alle Beteiligten äußerst kräftezehrend. Aber er zeigt auch, dass die Werkrealschule mit ihrem Klassenlehrerprinzip und intensiver Beziehungsarbeit eine unverzichtbare Rolle im Schulsystem spielt.

Alternative Gemeinschaftsschule?

Kommen wir zu den Gemeinschaftsschulen: Auch sie ziehen immer wieder Schüler von der Werkrealschule zurück. Allerdings nicht, weil das Konzept der Gemeinschaftsschule schlecht wäre, sondern weil diese Schulen mit ihrer selbstständigen Arbeitsweise nicht immer allen Schülern gerecht werden können. Besonders in den höheren Jahrgängen wird dort oft ein stärkerer Fokus auf gymnasiale Bildung gelegt. Viele Jugendliche fühlen sich in der Gemeinschaftsschule auf G-Niveau nicht richtig gesehen und gut betreut.

Probleme der anderen

Schulleitungen an Realschulen und Gemeinschaftsschulen berichten, dass der Zuwachs von Schülern im Bereich des G-Niveaus langfristig problematisch sein kann. Sie können nicht immer gerecht und fair damit umgehen. Besonders bei Werkrealschülern mit bilateraler Bildungsempfehlung wird es schwierig, ihnen einen Platz an der Realschule anzubieten, da die Klassen oft bereits mit G-Schülern voll sind, die ursprünglich für die Werkrealschule gedacht waren.

Wertschätzung aller Schularten

Für alle Beteiligten wäre es daher besser, diesen Zaubertrick zu entzaubern. Der Schlüssel liegt in einer realistischen Perspektive auf alle Schularten und einer Wertschätzung aller Abschlüsse. Der Fokus sollte nicht auf dem höchsten Ansehen oder dem meisten Geld durch einen höheren Abschluss liegen, sondern auf dem, was für das Kind in seiner aktuellen Entwicklung und Situation am besten ist. Das Bildungssystem funktioniert nur dann richtig, wenn „oben“ nicht schon alles überfüllt ist und es gleichzeitig gute Aufbauarbeit in den unteren Jahrgängen gibt. Es kommt darauf an, das passende Maß für jedes Kind zu finden und auf individuelle Bedürfnisse einzugehen, damit die Schüler bestmöglich unterstützt werden.

Zur Person
Moderator, Fortbildner und Lehrer: Matthias Zeitler ist alles drei und eigentlich liegen die Professionen ja sehr nah beieinander. Auf Instagram schickt er sich außerdem an, Influencer zu werden, einen Podcast hat er auch und das erste Buch geschrieben. Mit seiner Schwäche für Hüte und Kappen ist er immer leicht zu erkennen und von sich selbst sagt er: „Ich liebe Musik und Livekonzerte. Daher fühle ich mich im Schulsystem und auf der Bühne auch manchmal wie ein Punkrocker.“