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pdf Innovation für besseren Unterricht

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KI als Wegbereiter für eine innovative Lern- und Prüfungskultur

Ein Beitrag von Patrick Bronner, Lehrer am Friedrich-Gymnasium Freiburg

Wie sehen Aufgabenstellungen aus, mit denen Schülerinnen und Schüler im Unterricht KI-Werkzeuge gewinnbringend und reflektiert nutzen können und die gleichzeitig eine Überprüfung des Wissens und des Leistungsstands zulassen?

KI-Text-Tools

Im Fach Physik können die Newtonschen Axiome im direkten Dialog mit Sir Isaac NewtonBild 1: Erstellung von guten Prompts mit mathematischer Analyse der Antwort. Merksatz zur Prompt-Erstellung im Mathematikheft. über den KI-Chat erarbeitet werden. Im Fach Gemeinschaftskunde kann eine von ChatGPT erstellte politische Einschätzung auf ihren Faktengehalt hin überprüft werden. In Religion können die Grenzen der Urteilsfähigkeit von verschiedenen Sprachmodellen anhand eines kontroversen Themas ausgelotet werden. Im Fach Mathematik kann eine von ChatGPT formulierte mathematische Herleitung bewertet werden.
Die Tatsache, dass die Antworten von ChatGPT noch nicht perfekt sind, ist für das Lernen sehr hilfreich. Allerdings benötigen die Jugendlichen zur Bewertung der Antworten der Text-KI ein solides Fachwissen und gleichzeitig ein gutes Textverständnis.
Neben der Analyse der Antworten sollte im Unterricht auch Wert auf die Erstellung von Prompts gelegt werden. Je präziser und detaillierter der Prompt formuliert ist, desto passender und genauer ist die Antwort von ChatGPT. Die Lernenden können z.B. einen gut funktionierenden Prompt schrittweise verschlechtern, bis ChatGPT zu halluzinieren beginnt und inhaltliche Fehler in der Antwort auftreten. Ein Beispiel aus dem Unterricht ist die Konstruktionsanweisung für den Umkreis eines Dreiecks im Mathematikunterricht der Klasse 7 (Bild 1). Der Merksatz, den eine Schülerin dabei formulierte, gilt für alle Fächer, Klassenstufen und KI-Tools: „Wenn man eine gute Antwort haben will, muss der Prompt präzise sein. Ohne Fachwissen bist du bei ChatGPT verloren.“

KI-Bild-Tools

Bild 2: Erstellung von KI generierten Bildern im Fach Mathematik:  Darstellung eines nerdigen Mathematiklehrers.Bei der Erstellung von Grafiken mit einer Bild-KI, z.B. zur Darstellung eines nerdigenMathematiklehrers in Klasse 7 (Bild 2), kommt es wie bei ChatGPT auf eine detaillierte und präzise Prompt-Eingabe an. Zunächst müssen sich die Lernenden das gewünschte Bild genau vorstellen und der KI die Vorstellung detailliert beschreiben.
Neben den Vorteilen der KI-Bilderstellung, wie z.B. keine Urheberrechte, sollte im Unterricht auch auf die dabei vorhandenen Stereotypen und die Produktion von Fake-Bildern eingegangen werden.
Zur Erstellung eines Bild-Prompts können die Schülerinnen und Schüler im Unterricht angeleitet werden, KI-Tools zu kombinieren und so zunächst im Dialog mit ChatGPT einen passenden Bild-Prompt zu entwickeln.

KI-Tools in der KlassenarbeitBild 3: Klassenarbeit einer 7. Klasse im Fach Mathematik: Analyse eines vom Lehrer erstellen Dialogs mit ChatGPT.

Wenn künstliche Intelligenz Lerngegenstand ist, dann sollte KI auchPrüfungsgegenstand sein, sonst nehmen sie viele Lernende nicht ernst.
In der Unterstufe kann im Fach Mathematik ein ChatGPT-Dialog mit ungenauem Prompt und unklarer Antwort in Form eines Bildes in die Klassenarbeit integriert werden: Beispiel eines ungeeigneten Prompts: „Erstelle mir bitte eine Anleitung in einzelnen Schritten, wie man den Innkreis [Rechtschreibfehler: Inkreis] konstruiert [fehlende Angabe: in welcher geometrischen Figur]“ (Bild 3). Aufgabe für die Schülerinnen und Schüler ist es, den Prompt zu verbessern, die richtigen und falschen Schritte in der Antwort von ChatGPT mit grünen und roten Markern zu markieren und schließlich die falschen Antworten handschriftlich zu korrigieren.
In Tablet-Klassen können die Jugendlichen direkt in der Klausur mit ChatGPT arbeiten. Im Fach Physik können zu einer Aufgabenstellung der passende Mega-Prompt formuliert und die resultierende Antwortgenau analysiert und mit dem Tablet-Stift digital korrigiert werden (Bild 4).

 

Neue Lernkultur: Projektarbeit mit KI

Das langfristige Ziel für den zeitgemäßen Unterricht mit digitalen Medien und KI-Tools Bild 4: Klassenarbeit einer 10. Tablet-Klasse im Fach Physik:  Erstellung eines Mega-Prompts in ChatGPT und Antwort-Analyse.sollte ein Wandel der Lernkultur vom lehrerzentrierten behavioristischen zum schülerzentrierten konstruktivistischen Lernverständnis sein. Durch die Verknüpfung einer guten IT-Ausstattung (1:1 Schüler-Tablets) mit dem konstruktivistischen Ansatz können völlig neue Lernszenarien im Unterricht erschlossen werden.
Ein Zugang zu einem solchen schülerzentrierten Lernszenario ist die Verknüpfung von KI-Tools mit offenen, forschenden und projektartigen Arbeitsaufträgen. Mit einer offen formulierten Aufgabenstellung z.B. im Rahmen einer Projektarbeit werden die Schülerinnen und Schüler zu Produzenten ihres eigenen Wissens. Im Rahmen der Projektmethode erleben die Lernenden einen hohen Grad an Handlungsorientierung, Selbstwirksamkeit, sozialer Eingebundenheit und Autonomie.
Im Rahmen einer digitalen Projektarbeit beschäftigte sich die Klasse 9a im Physikunterricht mit dem Energiebedarf von Weihnachtsbeleuchtung und der Forderung nach einem Verzicht aus Umweltschutzgründen.
Für die Recherche und die Erstellung des Lernprodukts (Erklärvideo) konnten die Schülerinnen und Schüler KI-Tools wie ChatGPT und Dall-E nutzen.
Die Aufgabenstellung für das Projekt wurde vom Physiklehrer bewusst so ergebnisoffen gestaltet, dass es nicht nur eine richtige Lösung gibt. Die typischen geschlossenen Aufgabenstellungen, die bisher den MINT-Unterricht dominieren, machen im Zeitalter der künstlichen Intelligenz für ein Referat, eine GFS oder ein Erklärvideo keinen Sinn mehr: Das eine richtige Ergebnis wäre durch die Antwort von ChatGPT sofort verfügbar und müsste von den Lernenden ohne eigene Denkleistung nur noch abgeschrieben werden.

Neue Prüfungskultur: Bewertung der ProjektarbeitBild 5: Erwartungshorizont für die Projektarbeit mit KI-Tools.

Grundlage für eine transparente Benotung der Projektarbeit war ein Erwartungshorizont(Bild 5). Dieser gab den Lernenden Orientierung während der selbstständigen Erarbeitungsphase und enthielt objektive Bewertungskriterien. Neben der kriteriengeleiteten Bewertung des Lernprodukts durch den Lehrer wurde bei der Projektarbeit auch die Bewertungskompetenz der Schülerinnen und Schüler mithilfe von Selbstbewertungsverfahren und Peer-Feedback gefördert.

Lehrer-ChatBots & Live-Feedback-Systeme

Das größte Potenzial für den digitalen Unterricht liegt in naher Zukunft aber wohl im Einsatz
Bild 6: Lehrer-ChatBot ALENA für den Mathematikunterricht in der Kursstufe.von KI-basierten ChatBots. Erste Anbieter aus Deutschland wie TutorSpace mit ALENA (Bild 6) oder fobizz mit der KI-Tool-Assistenz bieten bereits Zugänge zu virtuellen Lehrerkräften an. Technisch gesehen handelt es sich um datenschutzkonforme Zugänge zu ChatGPT 4.0 in Kombination mit dem Mathematik-Plugin Wolfram Alpha. Selbst handschriftliche Rechnungen von Schülern können als Bild in die ChatBots eingefügt werden – und das KI-System diagnostiziert den Fehler in der Herleitung sofort und leitet die richtige Lösung der Aufgabe detailliert her.
Ein weiterer Ansatz zur Individualisierung im Unterricht sind textbasierte Live-Feedback-KI-Systeme. Als Beispiel gibt das Tool „fiete“ individuelles Feedback zu von Lernenden verfassten Aufsätzen im Fach Deutsch und in den Fremdsprachen. Das digitale Feedback ist dabei abhängig von Kriterien, die die jeweilige Lehrkraft im Vorfeld festgelegt hat.
ChatBots und Live-Feedback-Systeme können zwar niemals das didaktisch motiviert eingesetzte Fachwissen die Kreativität und das Einfühlungsvermögen einer Lehrkraft ersetzen, aber in allen Klassenstufen als individuelle Lernhilfe vor allem bei den Hausaufgaben, der Nachhilfe oder der Klausurvorbereitung sinnvoll im Unterricht eingesetzt werden.

KI-Tools und Datenschutz

Beim Einsatz von KI-Tools im Unterricht ist der Datenschutz unbedingt zu beachten. Die im Artikel beschriebenen Aufgaben mit Text- und Bild-KI-Tools wurden im Unterricht mit den DSGVO-konformen fobizz-KI-Tools durchgeführt. Die Stadt Freiburg als Schulträgerin hat fobizz-Lizenzen für Lehrende und Lernende aller städtischen Gymnasien angeschafft.

Fazit: KI-Tools im Unterricht

Bereits zum jetzigen Zeitpunkt gibt es zahlreiche Möglichkeiten, KI-Tools in den Unterricht sowie in Prüfungen zu integrieren und dabei die Chancen und Risiken zu diskutieren.
Das langfristige Ziel sollte sein, dass der kompetenzorientierte Einsatz von digitalen Medien und KI-Tools von Lehrkräften nicht als Herausforderung gesehen, sondern zu einem selbstverständlichen Teil der Lern- und Prüfungskultur im Unterricht wird.

Projektbericht mit den Ergebnissen der Schülerinnen und Schüler:
kurzlinks.de/ki-projekt

Dr. Patrick BronnerZum Autor
Dr. Patrick Bronner erhielt für den kompetenzorientierten Einsatz von Smartphones im Klassenzimmer mit seinem Team den Deutschen Lehrerpreis 2016. Er unterrichtet am Friedrich-Gymnasium Freiburg die Fächer Mathematik und Physik, bildet Referendare aus und hält Vorträge & Fortbildungen zur zeitgemäßen digitalen Bildung.