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Bildungsgipfel

Erstes Herantasten an einen Schulfrieden

Baden-Württemberg / Lesedauer: 5 min

Regierungskoalition und Opposition im Land haben sich auf weitere Gespräche nach Ostern verständigt. Ein Thema soll aber noch vor Ostern auf den Weg gebracht werden.
Veröffentlicht:23.02.2024, 19:30

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G9, verbindlichere Grundschulempfehlung, frühkindliche Förderung: Wer konkrete Entscheidungen vom Bildungsgipfel am Freitag im Stuttgarter Neuen Schloss erwartet hatte, wurde enttäuscht. „Heute haben wir alle erstmal alle Karten auf den Tisch gelegt“, sagte Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) nach der zweieinhalbstündigen Sitzung. Nach Ostern soll es im Kloster Bebenhausen weitergehen - und zwar thematisch ums Eingemachte.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Schopper haben sich mit den Fraktionsspitzen von Grünen und CDU sowie der oppositionellen SPD und FDP getroffen, um eine Bildungsallianz auszuloten, die auch Regierungswechsel überdauert. „Wir wollen uns nicht daran gewöhnen, dass Baden-Württemberg jedes Jahr weiter abschifft bei Bildungsrankings“, nannte CDU-Fraktionschef Manuel Hagel als eine Motivation. Auslöser war laut Schopper zudem der sehr erfolgreiche Volksantrag für eine Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium. Wenn G9 komme, habe das Auswirkungen auf alle anderen Schularten, hatte Kretschmann vorab betont und eine verbindlichere Grundschulempfehlung angekündigt.

Offen und konstruktiv

Alle Themen seien offen und konstruktiv ansprochen worden, betonten alle Teilnehmer. Vor dem nächsten Treffen werde sie die Themensammlung ordnen, kündigte Schopper an. Oberste Priorität habe ein Paket zur verbindlichen Sprachförderung bereits in der Kita und zur Stärkung der Grundschulen, sagten Hagel und Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz. Das soll vor noch Ostern kommen. „Das ist schon vorbereitet“, so Schopper.

Einen Endpunkt der Gespräche gebe es nicht. Man sei sich einig, so SPD-Chef Andreas Stoch, dass auch die Wissenschaft eingebunden werden soll. Die Opposition zeigte sich konstruktiv. „Alle wissen, dass sich was ändern muss“, so FDP-Fraktionschef Rülke, „also wird sich was ändern.“ Der Wille zum Konsens sei spürbar, harte Auseinandersetzungen habe es nicht gegeben. Zumindest noch nicht. Denn gerade bei den weiterführenden Schulen gibt es unterschiedliche Vorstellungen. CDU und FDP plädieren für ein dreigliedriges Schulsystem, Grüne und SPD setzen auf eine zweite Schulart neben dem Gymnasium.

Vorab viel Zuspruch und Forderungen

Für den Versuch, eine Bildungsallianz zu schmieden, gab es vorab viel Zuspruch und klare Forderungen. „Ich hoffe sehr, dass wir wirklich zu einer Art Schulfrieden kommen“, sagte der Vorsitzende des Landeselternbeirats (LEB) Sebastian Kölsch. Bildung dürfe nicht Spielball im Landtagswahlkampf 2026 werden. Kölsch warnte die Politiker davor, sich in Debatten über Schulstrukturen zu verheddern. Was es brauche, sei guter Unterricht dank kleinerer Lerngruppen, die Differenzierung ermöglichten. Die Vielzahl an Schulen, die sich der Südwesten leiste, verhindere einen effizienten Einsatz der raren Lehrkräfte. Damit Eltern weitere Schulwege ihrer Kinder in Kauf nähmen, müsse das Busticket kostenlos werden, mahnte er.

Dass die Grundschulempfehlung verändert werden soll, hatte der LEB schon im Dezember gefordert. „Wir sehen, dass neben vielen Fehlentscheidungen der Eltern auch viele Fehlempfehlungen der Lehrer die weiterführenden Schulen belasten“, sagte er. Bislang weiß das Kultusministerium nur, wie viele Kinder von einer auf eine andere Schulart wechseln - nicht aber, welche Empfehlung diese Kinder hatten. Man entwickle derzeit die technischen Voraussetzungen dafür, die Bildungsbiografie der Schüler anonymisiert zu verfolgen, sagte ein Sprecher Schoppers.

Reform der Grundschulempfehlung - aber wie?

In der Politik kursiert die Idee, die Empfehlung durch eine 2-aus-3-Regel verbindlicher zu machen. Alle Viertklässler sollen einen Test machen, der bei einem Unentschieden zwischen Elternwunsch und Lehrerempfehlung den Ausschlag geben soll. Der LEB will einen Test indes nur für jene Kinder, bei denen es ein Patt gibt. Und zwar nicht nur, wenn eine höhere Schule als empfohlen angestrebt wird, sondern auch eine niedrigere. „Kinder brauchen die beste Bildung, das ist nicht das Gymnasium, sondern die Schulart, die für ein Kind die richtige ist.“ Deshalb fordert der LEB auch eine eigenständige Empfehlung für die Gemeinschaftsschule. Da diese alle Bildungsniveaus anbietet, wird sie bislang bei jeder Empfehlung mitgenannt. Die Reform der Empfehlung dränge, so Kölsch. Schließlich hatte Schopper G9 bereits zum Schuljahr 2025/26 in Aussicht gestellt.

Die Bildungsverbände äußerten ganz unterschiedlichen Erwartungen an die Politiker. Der Realschullehrerverband warnte vor einer einzigen weiteren Schulart neben dem Gymnasium. „Eine Einheitsschule ist Gift für die Vielfalt der Kinder“, betonte Karin Broszat. Am anderen Ende des Spektrums forderte Matthias Wagner-Uhl, Vorsitzender des Vereins für Gemeinschaftsschule, eine grundlegende Strukturreform: „Das ewige Kleinklein und ein Sammelsurium fauler Kompromisse haben das Schulsystem im Südwesten zu dem gemacht, was es heute ist: Ein überkomplexer, unüberschaubarer, ineffizienter und zudem ausgesprochen teurer Moloch.“ Kein anderes Bundesland leistet sich so viele Schularten parallel wie Baden-Württemberg. Wagner-Uhl pochte auf eine starke, attraktive zweite Säule neben dem Gymnasium, die im Ganztag Bildungsgerechtigkeit stärke und zu allen Abschlüssen führe. Auf Maßnahmen gegen Bildungsungerechtigkeit und für bessere Bildung in Kitas und Grundschulen forderte auch Monika Stein, Landeschefin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Dafür brauche es zwingend mehr Geld für Bildung.

Kommunen fordern realistische Vereinbarungen

Gemeindetagspräsident Steffen Jäger hatte gemahnt, nur solche Vereinbarungen zu treffen, die auch realistisch seien. „Alles, was die Bildungsallianz zusagt und verspricht - sei es bei der Regeldauer des Gymnasiums, bei den Grundschulen, in der Digitalisierung oder bei der Sprachförderung - muss auch eingelöst werden können.“ Lange schon klagen die Kommunalverbände etwa über den Ganztagsanspruch für Grundschulkinder, der 2026 startet. Das Land müsse Versprechen mit personellen und finanziellen Ressourcen unterfüttern.

Der Baden-Württembergische Industrie- und Handelskammertag legte den Fokus auf die frühe Bildung und die Qualität des Unterrichts. „Denn das ist es, was für die Betriebe in Baden-Württemberg entscheidend ist“, erklärte Vizepräsident Claus Paal. „Ob das mit G9 oder G8 klappt, ist erstmal zweitrangig.“