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Von wegen faul

Lehrkräfte arbeiten zu viel – Verband bereitet Klage vor

Baden-Württemberg / Lesedauer: 5 min

Laut einer Erhebung der Universität Mannheim leisten Lehrkräfte an beruflichen Schulen mehr als sie müssten. Besonders betroffen sind Schulleitungen und Teilzeitkräfte.
Veröffentlicht:23.10.2023, 16:27

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Wie viel arbeiten Lehrkräfte? Bislang weiß das niemand, eine Zeiterfassung gibt es ‐ noch ‐ nicht. Eine neue Studie des Berufsschullehrerverbands (BLV) will mehr Klarheit schaffen. Das Wichtigste im Überblick: 

Worum geht es?

Für Lehrkräfte ist der Unterricht nur ein Teil ihrer Arbeit. Diese Zeit ist klar geregelt und beträgt in Baden-Württemberg zwischen 25 Pflichtstunden an Gymnasien sowie beruflichen Schulen und 28 an Grundschulen.

Lehrkräfte müssen aber den Unterricht vor- und nachbereiten, Prüfungen korrigieren und weitere schulische Aufgaben übernehmen. Fraglich ist also, ob dies in Summe die normale Arbeitszeit für Beamte im Land übersteigt.

Was bietet die neue Studie?

Wissenschaftler der Universität Mannheim haben zusammen mit dem BLV im Südwesten erforscht, wie viel Lehrkräfte tatsächlich arbeiten. „Das ist die erste Studie dieser Form für berufliche Schulen“, betonte die Wirtschaftspädagogin Carmela Aprea bei der Vorstellung der Studie am Montag in Stuttgart.


Berufsschulunterricht für Flüchtlinge in Biberach: Der Verband Berufsschullehrer fordern 1500 neue Lehrerstellen.

Wie viel arbeiten Lehrer? - Zu viel, sagt diese Studie

Lehrer: Vormittags arbeiten, nachmittags frei. Dass dieses Klischee bei weitem nicht stimmt, belegen neue Daten. Vor allem Lehrkräfte einer Schulart arbeiten zu viel.

1827 Lehrkräfte haben sich an einem Fragebogen beteiligt. Zudem haben 453 Lehrkräfte sieben Monate lang immer wieder ihre Arbeitszeit mit einer App auf dem Smartphone erfasst. Die Daten von 215 Lehrkräften wurden verwendet, die plausibel und umfassend waren.

„Es gab viele Filter und Plausibilitätsprüfungen, die wir bemühen mussten“, erklärte Wirtschaftspädagoge Andreas Rausch. Dadurch werde die tatsächlich geleistete Arbeitszeit eher unter- als überschätzt. 

Wie viel arbeiten Lehrkräfte?

Laut Studie arbeiten sie aufs Jahr gerechnet etwa drei Stunden pro Woche und damit sieben Prozent mehr als vorgesehen. Besonders betroffen sind jene mit Leitungsaufgaben. Sie leisten demnach 20 Prozent Mehrarbeit. Ebenfalls stark betroffen von Überstunden seien Lehrkräfte in Teilzeit, so Rausch: „Je geringer der Stellenumfang ist, desto höher ist die relative Mehrarbeit.“

Ist das überraschend?

Nicht wirklich. Immer wieder kommen Studien auch in anderen Berufsfeldern zu dem Ergebnis, dass Arbeitskräfte in der Regel drei Überstunden pro Woche leisten. Auch eine groß angelegte bundesweite Erhebung des Philologenverbands (PhV) unter Gymnasiallehrkräften war 2020 zu solchen Ergebnissen gekommen.

Wie wirkt sich Mehrarbeit aus?

Die Studienmacher haben auch das Wohlbefinden der Lehrkräfte erforscht. „Alle Lehrkräfte weisen ein sehr geringes Wohlbefinden auf“, erklärte Aprea. Die Höhe der Arbeitszeit scheine dafür aber nicht allein ausschlaggebend zu sein. Es gebe zwar signifikante, aber recht kleine Zusammenhänge.

Welche Reaktionen gibt es?

Für BLV-Landeschef Speck ist klar: „Vorgeschriebene Arbeitszeit bei Lehrkräften und Schulleitungen ist einzuhalten“, sagte er. „Zusätzliche Tätigkeiten müssen endlich anerkannt werden. Mehrarbeit muss bezahlt oder ausgeglichen werden.“ Warum es noch immer kein Lebensarbeitszeitkonto gibt, wie es die grün-schwarze Landesregierung im Koalitionsvertrag 2021 festgeschrieben hat, sei ihm schleierhaft.

Dadurch würde Mehrarbeit erfasst und bleibt erhalten. „Wir brauchen eine dringende Entlastung der Lehrkräfte“, so Speck ‐ gerade in den Korrektur- und Prüfungszeitträume. Der BLV fordert etwa den Einsatz von automatisierter Korrektur der Rechtschreibung, mehr Unterstützung in der Schulverwaltung und durch weitere Kräfte wie Sozialarbeitern sowie mehr Zeit zur Kooperation der Lehrer untereinander.

Eine gute Atmosphäre im Kollegium und zum Schulleiter wirke sich sehr positiv auf das Wohlbefinden aus, sagte Wissenschaftlerin Aprea. Der BLV plädiert für das „Dänische Modell“, bei dem Schulleitung, Lehrkräfte und Personalvertretung ein flexibles Zeitbudget bekommen und gemeinsam besprechen, wie sie die benötigte Arbeitszeit für zusätzliche Tätigkeiten verteilen.

Wir brauchen eine dringende Entlastung der Lehrkräfte.

BLV-Landeschef Speck

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft pocht vor allem auf eine Entlastung der Schulleitungen. „Unsere Schulleitungen wollen Schule gestalten und können oft nur Schule verwalten“, erklärte die Vorsitzende Monika Stein. Trotz der Entlastungen, die das Land bereits auf den Weg gebracht hat, seien die Rahmenbedingungen durch immer neue Aufgaben schlechter geworden.

Diese Forderung greift auch der Landeselternbeirat auf und fordert mehr Geld für Bildung im Land. „Die Unterfinanzierung des Systems als Ganzes kann nicht dauerhaft durch hochengagierte Individuen vor Ort ausgeglichen werden“, erklärte der Vorsitzende Sebastian Kölsch. Eine Arbeitszeiterfassung bezeichnete er als Zeichen der Wertschätzung für die Lehrkräfte.

Wird die Arbeitszeit von Lehrern irgendwann erfasst?

Das muss sie. Schon 2019 hatte der Europäische Gerichtshof mit dem sogenannten „Stechuhr-Urteil“ vorgegeben: Arbeitgeber müssen die Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer erfassen. Vor einem guten Jahr hat dies das Bundesarbeitsgericht bestätigt. Im September hatte der PhV im Südwesten eine Klage gegen das Land angekündigt.

Die rechtliche Vorprüfung sei abgeschlossen, erklärt der PhV-Vorsitzende Ralf Scholl der „Schwäbischen Zeitung“. Nun gehe es darum, Kollegen oder Kolleginnen zu finden, die bereit sind zu klagen. Diese wolle der PhV unterstützen.

„Die Einreichung der Klage ist für Anfang bis Mitte Dezember geplant“, so Scholl. Auch BLV-Landeschef Speck forderte eine Arbeitszeiterfassung. „Ich wünsche der Klage des Philologenverbands viel Erfolg“, sagte er. „Wenn man uns hier ausschließt, müssten wir auch klagen.“ Das Kultusministerin will derweil auf einen Vorschlag zur Zeiterfassung vom Bund warten, hatte ein Sprecher von Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) damals erklärt.