StartseiteRegionalBaden-WürttembergZu lang oder zu kurz? Debatte um die Dauer der Sommerferien

Sind 6 Wochen zu viel?

Zu lang oder zu kurz? Debatte um die Dauer der Sommerferien

Baden-Württemberg / Lesedauer: 8 min

Die Länge und der Zeitpunkt der Sommerferien sind fast jährlich bei Eltern, Schüler und Lehrern Diskussionsthema. Über Vor– und Nachteil der sechswöchigen Sommerpause.
Veröffentlicht:19.08.2023, 05:00

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Endlich Ferien! Das denken sich wohl die meisten Schüler, wenn sie am letzten Schultag ihre Zeugnisse überreicht bekommen. Nichts wie raus ins Freibad, auf den Bolzplatz und irgendwann später noch mit den Eltern in den Urlaub — denn für die nächsten sechs Wochen müssen die Kinder ihre Lehrer erst einmal nicht sehen.

Doch die Anfangseuphorie kann schnell verfliegen. Nach ein paar Wochen wird es langweilig, immer nur zu baden oder Fußball zu spielen. Dann heißt es: Was machen wir heute, Mama und Papa? Viele Eltern können sich aber auch nicht rund um die Uhr um ihre Kinder kümmern — vor allem, wenn die Arbeit ruft.

Lehrer– und Elternverbände finden Länge richtig

Das kann in mancher Familie zu Schwierigkeiten führen. Nicht selten entwickeln Eltern den Wunsch, dass doch endlich die Schule wieder beginnen möge. Sechs Wochen Sommerferien sind schließlich eine lange Zeit — aber auch zu lange?

Nein, betonen Lehrer– und Elternverbände. „Wir würden sagen, dass das die richtige Länge ist“, sagt Ralf Scholl, Vorsitzender des Philologenverbands Baden–Württemberg. Sebastian Kölsch, Landesvorsitzender des Landeselternbeirats, gibt ihm Recht: „Überbrücken muss man die Ferienzeit sowieso, auch wenn sie anders verteilt wäre“, erklärt er.

Gerhard Brand, Landesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), findet, dass sich die Sommerferien für Eltern, Lehrer und vor allem Kinder etabliert und gut eingespielt haben. Außerdem merkt er an, dass „in den Nachbarländer die Sommerferien noch viel länger sind als bei uns.“

Andere Länder mit längeren Ferien

Tatsächlich verrät ein Blick auf andere EU–Länder, dass Deutschland seinen Schülern mit rund sechs Wochen im Sommer nur eine vergleichsweise kurze Pause gönnt — allein bei den dänischen Nachbarn dauern sie genauso lang. In den anderen europäischen Staaten gehen die Sommerferien länger, besonders in Südeuropa. In Frankreich haben die Schüler acht, in Spanien elf, in Griechenland zwölf und in Italien 13 Wochen am Stück frei.

Sogar im skandinavischen Schweden und Finnland gehen die Kinder zehn Wochen nicht in die Schule. Allerdings müssen deutsche Schüler deswegen noch nicht übers Auswandern nachdenken. Denn die meisten dieser Länder haben kaum restliche Ferien mehr. Italienischen Schülern bleiben beispielsweise nur noch je eine Woche an Ostern und Weihnachten. Insgesamt liegt Deutschland im Vergleich mit 75 Tagen Schulferien in der europäischen Mitte.

Die Geschichte der Sommerferien

Aber wie sind die Sommerferien überhaupt entstanden? „Vor langer Zeit als Kinder zuhause noch geholfen haben und in der Landwirtschaft tätig waren“, erklärt Gerhard Brand vom VBE. Im 19. und auch noch 20. Jahrhundert mussten Schüler trotz Schulpflicht daheim mitarbeiten. „In der Landwirtschaft und bei der Ernte wurden sie gebraucht“, sagt Brand.

Es ist wichtig, dass Kinder im Sommer einmal komplett abschalten können.

Manuela Pietraß

Im Sommer gab es auf den Feldern am meisten zu tun. Der Unterricht fiel in den Sommermonaten aus, damit die Kinder arbeiten gehen konnten. Sommerferien hießen damals auch noch Getreideferien, die Herbstferien bezeichnete man als Kartoffelferien.

Gesetzlich festgehalten wurden die Sommerferien erstmals 1964 im sogenannten Hamburger Abkommen. Neben den 75 schulfreien Tagen im Jahr beschlossen Bund und Länder damals auch, dass jedes Bundesland mindestens sechs Wochen Sommerpause zwischen dem 1. Juli und dem 10. September einplanen muss — zur Erholung der Kinder. Das hat sich seither nicht mehr verändert.

Wissenschaftlerin sieht Erholungsphase als wichtig an

Dass Kinder heute noch die sechswöchige Pause zur Erholung brauchen, davon ist Manuela Pietraß überzeugt. Die Professorin für Erziehungswissenschaft an der Universität der Bundeswehr in München sieht aktuell keinen Anlass, „eine Diskussion über die Länge der Sommerferien loszutreten.“ Kürzere Sommerferien hält die Wissenschaftlerin nicht für zielführend. „Es ist wichtig, dass Kinder im Sommer einmal komplett abschalten können. Sechs Wochen Pause sind aus gesundheitlicher und pädagogischer Sicht sinnvoll“, erklärt sie.

Freie Zeit sei wichtig für die Gesamtentwicklung der Kinder. „In den Sommerferien können die Kinder Selbstbewusstsein in außerschulischen Talenten aufbauen. Das ist ein ganz wichtiger Faktor für die gesamte Persönlichkeitsentwicklung“, betont Pietraß. Denn Selbstbewusstsein und schulischer Lernerfolg würden zusammenhängen. Dass man in der langen Pause Lernstoff vergisst, ist für Pietraß kein relevantes Argument. „Auch während der Schulzeit werden Dinge vergessen, die man nicht braucht.

Das ist immer so, auch bei Erwachsenen“, erklärt sie. Deswegen sei es wichtig, dass unterrichtsrelevante Grundlagen in den ersten Wochen aufgefrischt werden. Lernförderung bei bestimmten Inhalten sei in Einzelfällen auch schon in den Ferien sinnvoll.

Probleme bei der Betreuung der Kinder

Die meisten Schüler, gerade im Grundschulalter, sind während der sechswöchigen Pause aber nicht durchgehend betreut. „Das ist mir auch klar“, sagt Gerhard Brand vom VBE. Es gebe einfach mehr alleinerziehende Eltern oder einkommensschwache Familien als noch vor zehn bis zwanzig Jahren. Er verweist darauf, dass Kommunen und freie Träger viele Eltern in den großen Ferien entlasten. „Sie bieten Betreuungsangebote an wie Zeltlager oder die Kinderfreizeiten.“

Auch Sebastian Kölsch vom Landeselternbeirat glaubt, dass die Betreuungsmöglichkeiten für Kinder im Südwesten gut sind. „Die Vereine oder freien Träger haben sich bewusst auf die Sommerferienzeit eingestellt mit ihren Angeboten“, so Kölsch. Er habe im Landeselternbeirat keine großen Beschwerden überlasteter Eltern wahrnehmen können. Ralf Scholl vom Philologenverband erklärt, dass mittlerweile auch viele Schulen in der unterrichtsfreien Zeit Angebote bereit stellen. „Viele Gymnasien haben sogenannte Sommerschulen, bei denen die Kinder schulisch betreut werden, wenn sie wollen.“

Zudem sei Deutschland in der komfortablen Situation, „dass auch Erwachsene meist sechs Wochen Urlaub im Jahr haben und einen großen Teil davon in den Sommerferien einplanen können“, so Scholl.

Warum immer zur gleichen Zeit im Süden?

Aber immer im August, immer in der Haupturlaubszeit und immer dann, wenn es an den Urlaubsorten in Italien, Griechenland oder Spanien am teuersten ist. Daran ändert sich auch nichts, weil sich Bayern und Baden–Württemberg seit Jahren — im Gegensatz zu den 14 anderen Bundesländern — nicht an einem Rotationsprinzip der Ferientermine beteiligen.

Die Sommerferien werden in den anderen Bundesländern jedes Jahr anders eingeteilt, damit nicht alle Menschen zur gleichen Zeit in den Urlaub fahren. In den beiden Südländern beginnen die Ferien aber immer Ende Juli. „Das liegt daran, dass Bayern und Baden–Württemberg ihre Ferienordnung an den christlichen Feiertagen orientieren. Anders als in den nördlichen Bundesländer gibt es deswegen an Pfingsten zweiwöchige Ferien“, so ein Sprecher des bayrischen Kultusministeriums auf Anfrage. Danach bräuchten die Schulen noch Zeit für Unterricht und Prüfungen, „um einen Lern– und Prüfungszeitraum zwischen Pfingst– und Sommerferien sicherzustellen.“

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Das bayrische Kultusministerium plane deswegen keine Änderung in Bezug auf die Sommerferien, weil „sich die bestehende Ferienregelung bewährt hat.“ Auch Baden–Württemberg will am Ferienrhythmus nichts ändern, so ein Sprecher des Südwest–Kultusministeriums. „Eine Veränderung der Sommerferienzeit bedeutet auch eine Änderung der übrigen Ferienzeiten. Hierfür scheint es derzeit keinen Anlass zu geben“, so der Sprecher. Außerdem stünden die Ferientermine bereits bis in die 2030er–Jahre fest.

Lehrer haben keine sechs Wochen Urlaub

Darauf können sich Eltern, Schüler und eben auch Lehrer einstellen. Dass die sechswöchige Pause für Lehrkräfte nicht mit einem sechswöchigen Urlaub gleichzusetzen ist, betonen die Lehrervertreter. „Wir haben immer noch mindestens eine Woche Nacharbeit zum Start der Ferien und die letzte Woche planen wir schon das kommende Schuljahr vor“, so Ralf Scholl vom Philologenverband. Gerhard Brand vom VBE gibt ihm Recht: „In den letzten beiden Ferienwochen richtet man auch das Klassenzimmer ein und schaut auf die Lehraufträge. Und in der letzten Woche beginnen meist schon die Lehrerkonferenzen.“

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Dann startet wieder der Unterricht und die Schüler kommen aus den Ferien zurück. Damit der Start gelingt, hat Brand vom VBE eine Bitte an die Eltern. „Gerade in späteren Klassenstufen der weiterführenden Schulen geht es in den Sommerferien in den seltensten Fälle komplett ohne Lernen. Dafür ist der Druck zu hoch“, sagt er.

Lernen in den Ferien sinnvoll

Die Schüler höherer Klassen seien gut beraten, sich auch während der großen Ferien „immer wieder kleine Sequenzen wie Vokabeln oder Mathe-Übungen vorzunehmen“. Ferien müssten Ferien bleiben, aber wenn das Gelernte in den sechs Wochen locker aufbereitet werde, beginne das neue Schuljahr deutlich besser. „Wenn die Kinder einen guten Start haben, ist das die halbe Miete fürs nächste Jahr“, betont Brand.

Nach längerer Pause sollten die Schüler ihre Schulsachen aus dem Rucksack hervorkramen, bevor der erste Schultag ansteht. Gerade wenn Freibad, Fußballspielen oder Kino langweilig werden, kann eine kurze Lerneinheit vielleicht auch mal eine abwechslungsreiche Option für Kinder in den Sommerferien sein.